Virtuelle Realität Eva Wolfangel

t3n Magazin 51/2018, 24. Feburar 2018 - Ausschnitt

Philip Rosedale träumt seit seiner Jugend von einer dreidimensionalen virtuellen Realität. Dank der technischen Fortschritte bekommt sein Traum neuen Aufwind. Er ist überzeugt: Eines Tages wird die Realität nur eine Option unter vielen sein.

Wenn Philip Rosedale das zeigen will, was ihn seit seiner Kindheit beschäftigt, dann reicht er ein Virtual-Reality-Headset, Kopfhörer und Controller und verschwindet selbst hinter einem Headset, „kommen Sie mit!“, ruft er noch, auch wenn er nirgendwo hingeht, zumindest sein physischer Körper nicht. Und doch betritt er eine andere Welt, „hier, das ist meine Welt“, sagt er, während die Besucherin noch mit der Technik kämpft. Schon in den ersten Minuten eines Interviews mit 46jährigen Unternehmer werden die Prioritäten fühlbar – er ist in er Virtuellen Realität, schneller als man schauen kann. Sein Körper steht noch hier in diesem Raum, aber er ist längst woanders.

Und auf einmal löst sich die schnöde Realität in Luft auf: die unverputzte Steinmauer im „High Fildelity“-Lab am Rande der Innenstadt von San Francisco verschwindet, die Bücher im Regal, die Tracker in den Ecken des Raumes, die dunklen Vorhänge vor den Fenstern, die sowohl die Sonne als auch das graue Draußen vor den Fenstern zwischen überquellenden Müllcontainern, Graffitites und Obachlosen vom konzentrierten Drinnen trennt; und all die fleißigen Programmierer und Entwickler, die hier vor Bildschirmen sitzen und nahezu geräuschlos vor sich hin arbeiten.

Stattdessen betritt Rosedale mit seiner Besucherin eine üppige grüne Landschaft, große Fliegenpilze, saftiges Moos – und ein paar seltsame Gestalten: eine schaurig dürre, bleiche Frau ganz in Schwarz, die eine Rose im Haar und Hände wie „Edward mit den Scherenhänden“ hat: eine Art dreigliedrige Zange an jeder Hand. Und eine braunhaarige Dame in einem rosa Balettkleid, mit Schmetterlingsflügeln und einer mehrstöckigen Torte auf dem Kopf. Rosedale selbst hingegen ist vergleichsweise hübsch: er scheint zwanzig Jahre jünger geworden zu sein, seine grauen Haare sind verschwunden, er ist ein blonder Jüngling, dessen graues T-Shirt über der Brust spannt und locker über einen angedeuteten Waschbrettbauch fällt. „Hej Michelle, wie geht’s?“ begrüßt er die rosa Frau, dann plaudern die beiden ein wenig über das echte und das virtuelle Leben, schließlich bittet Rosedale die Besucherin weiter in den Wald, vorbei an kleinen Felsblöcken, über grünen Waldboden, es scheint beinahe ein wenig moosig zu riechen, auch wenn das nicht sein kann.

„Das ist meine Welt“, sagt Rosedale nochmal bei diesem Spaziergang in den Virtuellen Welten von High Fidelity, und seine Stimme klingt dabei wie die eines stolzen Vaters, der sein Baby präsentiert. Vor knapp zwei Jahren, im April 2016, hat er die Beta-Version dieses Treffpunktes in der Virtuellen Welt eröffnet – und auf einmal schienen all seine Träume wahr zu werden: eine alternative Realität zur hiesigen scheint möglich. Und genau genommen ist Rosedale tatsächlich der Vater dieser Idee – und genau diese Geschichte hat ihn auch ein wenig vorsichtig werden lassen. Denn einen solchen Moment gab es schon einmal in seinem Leben, als er Journalisten durch seine alternative Realität führte, seine Option für ein alternatives Leben: 2006 gründete er mit seinem damaligen Unternehmen Linden Lab Second Life, eine damals von zweidimensionale Plattform im Internet, die schnell durch die Decke ging. Innerhalb von kürzester Zeit tummelten sich dort eine Millionen Avatare, es entstand eine eigene Ökonomie, die Nutze eröffneten florierende Geschäfte, gründeten Unternehmen, bauten ganze Städte. Die Sehnsucht nach einem alternativen Leben schien groß zu sein. „Wenn es um so etwas wie eine zweite Realität geht, dann sind immer alle ganz aufgeregt“, sagt Rosedale, vorallem Journalisten seien angetan gewesen von dem Konzept, Portraits von Rosedale erschienen in allen großen Zeitungen und Magazinen.

Doch dann ging es auf einmal bergab mit Second Life. Die Plattform stagnierte drei Jahre nach ihrer Gründung, verlor schließlich aktive Nutzer, wurde totgesagt – auch wenn sie bis heute lebt. Doch in bescheidenem Umfang. Einige tausend Nutzer seien nach wie vor aktiv, einige Zig lebten gar nach wie vor von den Geschäften, die sie dort betrieben, beispielsweise dem Design von Avataren. Aber von all dem weiß Rosedale nichts mehr so genau, denn zwei Jahre nach dem Niedergang trat er zurück und verließ 2009 das Unternehmen Linden Labs schließlich. Sein Traum war zum ersten Mal gestorben.

Und jetzt dieser Luftballon! „Hier, fangen Sie!“, ruft der virtuelle Rosedale auf einmal und wirft einen großen roten Ballon in die Luft. Wer intuitiv die Arme ausstreckt- im echten Leben und damit zeitgleich im Virtuellen - , fängt ihn kurz darauf mühelos auf. Die Controller, die Rosedale und seine Besucherin im echten Leben in den Händen halten, haben sich hier in Hände verwandelt, die dem Nutzer gehorchen wie echte Hände. Ebenso mühelos kann man den Ballon wieder in die Luft werfen – er gehorcht der Physik eines Luftballons, lediglich sein Gewicht ist nicht zu spüren. „Fast wie echt“, sagt Rosedale, und ein stolzes Grinsen ist dabei in seiner Stimme zu hören, auch wenn die Mimik seines Avatars eher ernst bleibt.

Um zu verstehen, wieso dieser Luftballon Rosedale heute so glücklich macht, muss man weit zurück in die Vergangenheit, bis zum pubertierenden Philip, der damals zwei Dinge nahezu gleichzeitig entdeckt: Computer und Physik. „Beides hat mich fasziniert, und ich habe mich gefragt, wie man beides miteinander verbinden kann.“ Sein Traum, die Physik der echten Welt in den Computer zu bringen, resultiert aus dieser Zeit, als er mit 16 erste Computer-Netzwerke baute, noch bevor es das Internet gab, und phantasierte, wie er eines Tages die Welt virtuell nachgebildet werden würde. Als er schließlich 1994 nach seinem Studium der Informatik und der Physik das Wesen des Internets entdeckte – Millionen vernetzter Computer, die einen ganz neuen Raum bilden - , ließ er nicht mehr locker: Weggefährten von damals erinnern sich, wie der junge Programmierer immer wieder davon anfing, der er die Physik in den Computer bringen wolle und dass virtuelle Realität möglich sein müsse.

(Das ist nur der Anfang meiner aktuellen Geschichte über Second Life Gründer Philip Rosedale und seine Pläne mit der Virtuellen Realität. Aus rechtlichen Gründen erscheint sie hier nicht komplett. Das Magazin t3n kann man hier bestellen.)