Wissenschaftsreportage Technik Eva Wolfangel

Science Notes 3/2019 - Ausschnitt


Wie eine Recherche in der virtuellen Realität nicht nur mein echtes Leben verändert hat, sondern mir gezeigt hat, wie relativ unsere Idee der scheinbar exklusiven Realität ist.

An einem Tag im Juni 2016 setze ich zum ersten Mal meinen Fuß in eine andere Realität. Ich stehe in der Abendsonne unter einem Baum. Die Blätter zeichnen ein Muster auf den Boden. Ich höre das Gemurmel von Menschen, die aussehen wie Roboter, der Himmel ist unglaublich tief.

Eigentlich steht mein Körper in meinem Wohnzimmer und doch bin ich ganz woanders. Ich habe mir ein klobiges Headset über den Kopf gestülpt, dicke Kopfhörer dazu, und befinde mich plötzlich in dieser anderen Welt. Sie heißt „Altspace VR“, diese Welt, und es ist ein sozialer Treffpunkt in der Virtuellen Realität. Hier geht es nicht um Spiele, sondern um das Soziale. Es gibt zu dieser Zeit drei oder vier ähnliche Treffpunkte dieser Art in der Virtuellen Welt.



Ich schaue mich erstaunt um und kann kaum glauben, wie real das alles wirkt. Mein Gehirn sagt mir, das ist die Realität. Du bist wirklich hier.

Und das alles soll eine einzige große Täuschung sein, wie in Matrix? In dem Film findet das Leben in einer Parallelwelt statt, die es eigentlich gar nicht gibt. Sie ist eine Einbildung des Gehirns. Die Menschen in Matrix wissen das nicht – eben, weil sich diese Parallelwelt so real anfühlt.

Die Welt, in der ich mich gerade befinde, gibt es eigentlich auch nicht, doch das muss ich mir schon bewusst einreden, als ich an diesem Tag die Feierabendstimmung genieße.


Manche Forscher sagen: Mit der virtuellen Realität haben wir erstmals im Laufe der Menschheit die Möglichkeit, uns zwischen mehreren Realitäten zu entscheiden – jenseits von Phantasiereisen, Wahnvorstellungen oder Drogentrips. „Die virtuelle Realität ist genauso real wie die physische Welt“, sagt der australische Philosoph David Chalmers. Der Philosoph beschäftigt sich seit Jahren mit dem Bewusstsein und der Frage, wie echt die echte Realität ist.


Woher wissen wir, dass die Welt um uns herum nicht nur Simulation ist? Darüber streiten Philosophen nicht erst seit René Descartes‘ Gedankenexperiment im 17. Jahrhundert, als er fragte: Woher können wir wissen, dass uns nicht ein böser Dämon steuert, der die Welt um uns herum bloß echt erscheinen lässt.


Die virtuelle Realität zwingt uns dazu, uns erneut mit dieser Frage zu beschäftigen. Die Immersion, das Gefühl des totalen Eingetauchtseins, ist so hoch, dass Zweifel aufkommen, ob es überhaupt relevante Unterschiede gibt zur echten Welt. Chalmers sagt ganz klar „Nein“: „Die virtuelle Realität ist keine Zweite-Klasse-Realität.“ Sie steht der echten in nichts nach.


Das kann auch negative Folgen haben, wie ich an meinem ersten Tag in der anderen Realität merke. Ich stehe wie angewurzelt auf dem virtuellen Boden, als ein großer roter Mann auf mich zukommt, viel zu dicht. Er greift mir an die Brust und lacht dreckig. Ich bin erstarrt. Ich weiß, es ist „nur ein Avatar“. Er hat mich nicht wirklich berührt. Wenn ich aber in der virtuellen Realität an mir hinunterschaue, sehe ich die fremde Hand dieses Mannes, und frage mich: Was ist real?


Diese Schlüsselerfahrung lässt mich auf unangenehme Weise spüren: Diese virtuelle Realität ist viel realer als ihr Name vermuten lässt. Von Begegnungen im Internet, von Chats, von Computerspielen ist es ein Quantensprung zur virtuellen Realität. Hier bin ich mittendrin und nicht nur auf einem zweidimensionalen Bildschirm dabei. Die Erfahrungen hier gehen nah, sehr nah.


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(Das ist nur der Anfang meiner aktuellen Geschichte über meine Recherche in der Virtuellen Realität in Science Notes 3/2019. Aus rechtlichen Gründen erscheint sie hier nicht komplett. Hier kann man weiterlesen.)